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Ja, mach nur einen Plan
Alles dreht sich um das Thema "Stadt" im diesjährigen "Steirischen Herbst". So viel zur Theorie. Und wie steht's um die Praxis von Stadtentwicklung und Stadtplanung in Graz?


Die "Stadt" hat Peter Oswald, scheidender Intendant des "Steirischen Herbsts", zum Generalthema seines letzten Programms gemacht. "Stadt" sollte thematisiert werden in der Literatur, im Film, in einem Symposium, in den Ausstellungen zur bildenden Kunst, in Wanderungen und szenischen Aufführungen, die das Grazer Stadtgebiet selbst zum Handlungsmittelpunkt machten. Ziemlich hoch lag die Latte, die man sich selbst gelegt hatte mit dem Anspruch, "den radikalen urbanen Transformationsprozessen samt ihren gesamtpolitischen Konsequenzen, die die Stadt seit den 1980er-Jahren erfasst haben, auf den Grund zu gehen". Der interessierte Festivalbesucher, der sich eine diskursive Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Stadt bei gleichzeitigem Fokussieren auf den Schauplatz Graz erwartete, wurde enttäuscht.

"M Stadt", der enigmatische Titel der Hauptausstellung, könnte ebenso gut für Meta-Stadt oder Medium Stadt stehen wie für Mittel-Stadt. Als solche reihen die Kuratoren die Stadt Graz zwar ein unter angeblich vergleichbare europäische Städte wie Krakau, Basel, Laibach oder Triest. Deren Porträts beschränken sich jedoch auf die Aufzählung von je nach Stadt unterschiedlich gewählten statistischen Kennzahlen zu Größe, Bevölkerungs- und Infrastruktur und der spezifischen Arbeitsplatzsituation einzelner Gruppen. Videos, auch von Graz, illustrieren die Daten. Kein Wort zu den Charakteristika, zu Qualitäten und Schwächen der Stadt, ihren strukturellen Problemfeldern und Entwicklungspotenzialen, zu politischem Handlungsbedarf.

Die Referenten des Symposiums, das in Kooperation mit dem Institut für Städtebau organisiert wurde, blieben "weltläufig" allgemein oder thematisierten Aufgaben der Städte und Büros, aus denen sie kamen. Graz war nicht dabei. Wenn es auch nie erste Aufgabe der fachlich kompetenten Intelligenz der Technischen Universität war, sich konkret zur städtebaulichen Entwicklung ihrer Stadt zu äußern, so gab es dazu doch eine Tradition. Man mischte sich ein in Fragen der Stadtgestaltung, gab immer wieder Impulse und provozierte Bürgerbefragungen. Zu einer solchen führte in den 1970er-Jahren Hubert Hoffmanns vehemente Ablehnung der Idee, eine Autobahntrasse im Westen der Stadt zu bauen, die ganze Stadtteile von der Kernstadt abgetrennt hätte. Tatsächlich wird die Nord-Süd-Route durch Graz heute im Tunnel geführt, der zur effizienten, umweltverträglichen Entlastung des Transitverkehrs wurde.

Wichtige Weichen für weniger Verkehrsbelastung stellte der früh verstorbene Vizebürgermeister Erich Edegger mit seinen mitunter als ideologisch diffamierten Vorstellungen einer gedeihlichen Entwicklung der Stadt, die die hohe Lebensqualität sichern sollte. Der Unternehmer trat beherzt für sanfte Mobilität ein. Er forcierte den öffentlichen Verkehr, setzte die blauen Zonen durch und installierte das damals europaweit längste Radwegenetz in Graz. Seine Vision eines "Platzes für Menschen" mündete konkret in die Ausweitung von Fußgängerzonen und die verkehrsberuhigte Umgestaltung zahlreicher Plätze. Das führte zur nachhaltigen Aufwertung öffentlicher Stadträume und machte diese für Bewohner und Graz-Besucher gleichermaßen attraktiv. Fraglich ist, ob diese kausalen Zusammenhänge den heutigen Kommunalpolitikern bewusst sind. Edeggers damals unpopuläre Maßnahmen machen heute das Flair aus, mit dem Graz touristisch beworben wird, sein Vermächtnis wird jedoch weder fortgesetzt noch ausgebaut.

Das Grazer Stadtentwicklungskonzept von 1990 hält auch nach seiner Modifizierung 2001 daran fest, dass der Anteil des motorisierten Individualverkehrs eingedämmt werden soll; dem steht jedoch die Genehmigung und der Bau mehrerer Tiefgaragen durch Investorengruppen im innersten Bereich der Altstadt in den vergangenen drei Jahren gegenüber. Die Gründe dafür: Der wachsenden Konkurrenz von Einkaufszentren am Stadtrand folgt der Druck der innerstädtischen Wirtschaftstreibenden auf die Kommunalpolitik, Weichen zu stellen, um die Kaufkraft in der Innenstadt zu stärken. Als Allheilmittel wird von Seiten der Wirtschaft die Schaffung von Autoabstellplätzen gesehen und damit die Stärkung des Individualverkehrs, konträr zu allen Entwicklungen europäischer Städte wie London, das ausschließlich auf den Ausbau und die Beschleunigung des öffentlichen Verkehrs setzt. Die Stadt, deren Finanzlage seit 2003 angeblich so trist ist, dass sie nicht einmal in der Lage ist, die noch fehlenden Bäume zur Minimalgestaltung des Freiheitsplatzes beizusteuern, beugt sich dem Druck.

Nicht wesentlich anders die Situation in den übrigen Bereichen der Stadtentwicklung. 2005 wurde ein "Räumliches Leitbild" für Graz erstellt, das ein Zwischenglied zwischen dem allgemein formulierten Stadtentwicklungskonzept und dem Flächenwidmungsplan sein soll. Rechtlich verbindlich ist es nicht. Nun kann das stadteigene Immobilien- und Bauherrenunternehmen GBG die Ziele des Entwicklungskonzeptes strategisch umsetzen, wenn es - ja, wenn! - Mittel zur Umsetzung bekommt wie für den Bau des neuen Campusgebäudes der Fachhochschule. Gegenüber privaten Investoren setzt man auf "Goodwill" und meint, nur auf dem Wege der Kooperation befriedigende Ergebnisse für die Entwicklung der Stadt erzielen zu können. Das wird auch als Grund angegeben, warum für potenzielle Verdichtungsgebiete nicht im Voraus Bebauungspläne mit rechtlicher Gültigkeit erstellt werden.

Nun ist das freie Spiel der Kräfte zwischen dem Investor, der gewinnmaximierend denkt, und einer Kommune, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist, naturgemäß ein ungleiches. Gibt es keine verbindlichen Vorgaben, so besteht die Gefahr, dass Letzteres keine Berücksichtigung findet. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Bebauung des attraktiven, weil stadtnahen Messeareals. Ein Interessent legt einen Bebauungsvorschlag für ein neues Wohnquartier vor. Die Stadtplanung, damit nicht glücklich, drängt auf einen städtebaulichen Wettbewerb und finanziert die Kosten. Die Jury, in der der Interessent vertreten ist, kann unter den Projekten keines finden, das stadträumlich und ökonomisch entspricht. Nun ist wieder der potenzielle Investor am Zug. Er holt das Konzept seines Architekten aus der Lade, das nun, etwas modifiziert, in einen Bebauungsplan übergehen soll. Die Interessen der Anwohner, die sich für ihren nicht gerade mit Grünanlagen gesegneten Bezirk Jakomini eine größere zusammenhängende Parkfläche wünschen, bleiben bei solch pragmatischer Vorgangsweise auf der Strecke.

Einfluss nehmen darauf könnte ein Fachbeirat für Architektur, der auch für Graz von an Stadtentwicklung und Baukultur interessierten Gruppen gefordert wird. Die Einsetzung eines solchen Beirats würde, wenn er mit Kompetenzen ausgestattet wird, zu Bewusstseinsbildung und verstärkter Qualitätsdiskussion führen, die sich auf das Bild der Stadt und ihre Entwicklung sicher positiv auswirken würde. Die Politik ziert sich noch. [*]

Die Ausstellung "M Stadt" im Grazer Kunsthaus ist noch bis 8. Jänner zu sehen.

KARIN TSCHAVGOVA

erschienen in:
Die Presse, (Spectrum), 29.10.2005