Falter: Ein zentrales Thema
rund um Ihre Intendanz ist die
Helmut-List-Halle. Sie sagen, es gäbe Konzepte für ihren Betrieb, die
in verschiedenen Schubladen lägen.
Peter Oswald: Das ist richtig. Mich hat
es gereizt, nicht nur
steirischen herbst zu machen, sondern mit der List-Halle auch einen
starken Impuls der Moderne zu errichten. Retrospektiv muss ich dazu
sagen: Als wir damals im Programmarbeitskreis für Graz 2003 -
Kulturhauptstadt Europas saßen, war für uns klar: Wir brauchen ein
Kunsthaus. Und wir brauchen eine Halle, die komplementär zum
Kunsthaus multifunktionell ist. Für mich war wichtig, dass sie nicht
repräsentativ ist. Das heißt: geringe Kosten, wenn man es vergleicht.
Ich habe mir damals die Errichtungskosten und die Betriebskosten vom
Renzo Pianos Bau "Parco della Musica" in Rom angeschaut, ich habe mir
die Kosten von Frank O. Gehrys Walt Disney Concert Hall in LA
angeschaut, die betragen 274 Millionen Dollar. Und jetzt kommt auch
die Elb-Philharmonie Hamburg, die von Herzog/de Meuron erbaut wird,
dazu. 186 Millionen Euro Errichtungskosten. Ich sehe die List-Halle
als Gegenpol zu diesen teuren, großen Häusern, die sehr
wahrscheinlich ein reines Starsystem haben werden. Gespießt hat sich
Diskussion aber bis heute beim Thema Kosten. Bei der List-Halle gibt es,
und dafür bin ich verantwortlich,
geringe Errichtungskosten. Die List-Halle hat 9,2 Millionen inklusive
Einrichtung gekostet. Zugegeben: Hamburg ist eine größere Stadt als
Graz. Dennoch: Die Betriebkosten der Elb-Philharmonie betragen
jährlich 3,6 Millionen. Die Betriebskosten der List-Halle betragen
aufgeschlüsselt circa 220.000 Euro Betriebskostenabgang plus 80.000
Leasingrückzahlungsraten für die Einrichtung plus 220.000 Miete an
List. Das macht in Summe ca 500.000 Euro per anno. Was mich damals am
Plan fasziniert hat, ist, dass es um einen nichtrepräsentativen Bau
geht, von dem anzunehmen war, dass er akustisch wirklich das bringt,
was er gebracht hat, nämlich Weltklasseakustik. Die ganze
Repräsentation, die es in vielen Konzert- und Opernhäusern gibt,
verschlimmert ja auch die Disponibilität und Funktionalität und die
Freiheit zwischen Künstlern und dem Publikum.
Was ist im Moment
organisatorisch Stand der Dinge bei der
List-Halle?
Unsere Gesellschaft wird in die List-Hallen-Gesellschaft
übergeführt. Die neue herbst-Intendantin Veronica Kaup-Hasler
startet mit ihrer neuen Gesellschaft. Beide sind vollkommen
entkoppelt. Bei der Frage, wie es programmatisch mit der List-Halle
weiter geht, gibt es im Moment einen Stillstand. Auf der einen Seite
das Ehepaar List, von denen ich glaube, dass sie bereit sind, aber
die sich auch nicht gerne über die Zeitung etwas ausrichten lassen.
Und wir haben in der Stadt und im Land neue Karten. Zur Vergangenheit: Als
die List-Halle beschlossen worden ist,
haben ja alle unterschrieben. Und es gab Politiker, die
unterschrieben haben und mir dann eineinhalb Jahre später gesagt
haben, Herr Intendant, wie konnten Sie nur. Und dann ganz blass
geworden sind, als ich ihnen ins Gesicht gesagt habe: Sie haben es ja
unterschrieben. Politiker von SPÖ-Stadt und Land und ÖVP-Stadt und
Land, die es in ihren Klubs einstimmig verabschiedet haben. Es gab
nicht eine Gegenstimme.
Sie sind seinerzeit als Sündenbock für die
Verteuerung der
List-Halle hingestellt worden. Sind Sie mit schuld? Ich bin ein Mittäter
für die Errichtung, aber nicht für die
Betriebskosten. Ich habe gerochen, was in dieser Halle an Potenzial
steckt und wollte das haben. Ich war der illusionären Meinung, da
gibt es sechs Institutionen und Gebietskörperschaften, die machen das
miteinander. Dass ich dann der alleinige Sündenbock war, das war in
der medialen Logik bequem. Rückblickend, wo man sich leicht tut zu
sagen, welchen Fehler man gemacht hat: Ich habe zehn Kilometer gegen
den Wind gerochen, dass die Halle etwas Tolles ist. Und die
finanziellen Voraussetzungen vom Helmut List waren glasklar, die hat
er allen, wirklich allen mitgeteilt. Wir alle haben das
unterschrieben. Das für mich Enttäuschende war, dass sich nicht alle
Beteiligten mit den störenden Nebengeräuschen, die man bei einem
großen Projekt immer hat, auseinander gesetzt haben. Es gibt Kritik in
Graz, dass die Idee für die List-Halle und das
dortige Programm zu abgehoben sei. Und zu wenig für Grazer Szenerien
getan worden sei. Für die List-Halle muss ich das entschieden zurückweisen.
Man muss
sich nur die Inhalte ansehen und die Massen, die wir für komplexe
Inhalte - etwa die Aufführungen von "Lost Highway" oder "Begehren"
gewinnen konnten. Wir haben ja die Voraussetzungen dafür geschaffen.
Ich rede jetzt gar nicht von den ganzen Raves und Clubbings, die
drinnen stattfinden. Das finde ich wunderbar, das wissen manche
Politiker nicht. Die Inhalte, die dort stattfanden, und die etwa 2003
dort mit den Ikonen (Ikonen des 20. Jahrhunderts waren ein
Programmpunkt im Kulturhauptstadtjahr 2003 in der List-Halle, Anm.)
stattfanden. Und ich habe wirklich zeitgerecht die Voraussetzungen
dafür geschaffen, dass wir das ganzjährig und mit internationalem
Format fortsetzen hätten können. Ich habe mir die lustvolle Arbeit
gemacht, über meinen Job als herbst-Intendant hinaus die ganzen
Programme zu entwickeln. Welche positiven und welche negativen Erinnerungen
haben Sie nach
sechs Jahren Intendanz an Graz? Am negativsten war die Erfahrung, als die
Protagonisten, die für
die List-Halle waren, dann, wie man gesehen hat, das Ganze wird im
Betrieb teurer als angenommen, nicht agiert haben. Wir haben alle
gewusst, dass es knapp wird. List hat gesagt, er macht das unter
diesen Voraussetzungen und wollte auch nie als Mäzen auftreten, er
hat nur gesagt, er will ein Ermöglicher sein, der Kunst und
Wissenschaft zusammenbringt. Und dazu hat er das Grundstück zur
Verfügung gestellt, dazu finanziert er über fünfzig Prozent. In der
medialen Schlacht ist ja etwas Absurdes passiert. Man hat gesagt, er
will sich als Mäzen sehen und hat von ihm verlangt, dass er alles
finanziert. Das hat er aber nie gesagt. Ich habe mit dem steirischen
herbst die Betreiberschaft übernommen, weil ich ein
künstlerisch-programmatisches Konzept damit verfolgt habe, nämlich
die List-Halle zu einem modernen, gegenwärtige Widersprüche
fokussierenden Zentrum zu machen, wo neues Musiktheater und neue
Musik, und Formen von Tanztheater, Schauspiel und Literatur
aufeinander stoßen. Und eben in einer nicht auf Repräsentation
abgestellten Form. Was folgte, war für mich dann wirklich
frustrierend. Ich habe die Schwierigkeiten ja sofort kommuniziert.
Ich hätte - das sage ich mir jetzt - , als ich gesehen habe, sie
lassen mich ins offene Messer laufen, eine Pressekonferenz einberufen
sollen und es mitten im Kulturhauptstadtjahr 2003 skandalisieren
können. Es war dann ja nur mehr eine Frage der Zeit, bis es zu einer
medialen Schlammschlacht wurde. Das zweite Negativum: Die Politiker
hätten eigentlich sehen müssen, was ich programmatisch zustande
bringe. Dafür bin ich in aller Bescheidenheit nicht ganz unbekannt.
Und sie haben gesehen, dass Beat Furrers "Begehren" weltweit zur
besten Uraufführung des Jahres gewählt wurde. Was hätten Sie geplant? Ich
dachte, jetzt fangen wir an, Programm zu machen. Ich habe die
Ikonen für 2004 schon fix und fertig gehabt. Die neue radikale Musik
braucht starke Temperamente. Als Valerij Gergiev in Graz war, hat es
verschiedene Gespräche gegeben. Daraus hat sich ein Konzept
entwickelt. Das ist das erste Konzept. Das ist allen Politikern, die
damals etwas zu sagen hatten, zugegangen. Das liegt in den
Schubladen. Die Idee wäre gewesen, ein achttägiges Festival zu
machen, wo man nur Musik des 20. und 21. Jahrhunderts spielt, mit
einer starken Öffnung hin zu einem Publikum, das man noch nicht
gewonnen hat. Es gab auch ein zweites Konzept. Das war, wie gesagt,
die Fortführung der Ikonen, das habe ich fertig programmiert gehabt.
Der Hintergrund war natürlich, Graz nach 2003 zu definieren. Was für
mich unter anderem positiv war an 2003, dass man auch mit unbequemen
Inhalten gesellschaftlich etwas bewegen kann. Da hätte man sich
positionieren können. Ich hätte nur erwartet, dass man sagt, erzählen
Sie uns das, wir hören Ihnen zu, oder diskutieren Sie das mit einem
Finanzmann, und so weiter. Hätte ich alles gemacht. Ich war damals in
der Stimmung, die Welt auf den Kopf zu stellen. Aber die Welt ist im
Landhauskeller geblieben. Es war für mich bitter zu sehen, dass das,
was man programmatisch über 2003 hinausführen hätte können, dass
diese Chance systematisch oder unsystematisch verjankert wurde. Hat es
niemanden interessiert? Das war für mich eben das zweite große Minus, dass
mit allen
Beteiligten - quer durch die Parteien - es nicht einmal eine
Diskussion gab. Wir haben immer wieder dieses Angebot gemacht.
Irgendwann war klar: Es hat keinen Sinn. Du siehst einfach, es
interessiert niemanden, und die Verantwortlichen sind nicht imstande,
die Chance zu erkennen, die in so einem Projekt mit internationaler
Leuchtkraft liegt. Nicht zu sagen, wie das jetzt der neue
Kulturlandesrat tut, ich hole die Punks in die List-Halle, sondern
die 18- bis 20-Jährigen für schwierige, komplexe Inhalte zu
interessieren. Und ich habe das bis 2003 - durch die Schwierigkeiten
mit der List-Halle und die ganzen Demoralisierungen war es dann
schwieriger - auch gemacht. Das Wichtige ist, du musst die Leute für
komplexe Inhalte gewinnen, du musst sie in ihrer Lebenswirklichkeit
abholen. Dass sie die Lust an schwierigen Inhalten gewinnen. Und das
kannst du - Energie vorausgesetzt - hervorragend mit neuer Kunst tun,
ob das Musik, Theater, bildende Kunst, Fotografie, Architektur oder
Literatur ist. Wo haben Sie Ihrer Einschätzung nach den herbst
geprägt? Am stärksten im Musiktheater. Da ganz sicher. Da ist es gelungen.
Angefangen von "White foam" von Wolfgang Mitterer, La fura dels baus,
bei aller Diskussion über "Macbeth" von Salvatore Sciarrino (2002),
über Furrers "Begehren", "Theater der Wiederholungen" (alle 2003) von
Bernhard Lang, eine der radikalsten Annäherungen an neues
Musiktheater, die ich kenne. Olga Neuwirths tolles "Lost Highway"
(David Lynch, Elfriede Jelinek). Und ein Projekt, das mich sehr
glücklich gemacht hat, die "Stadtoper" von Peter Ablinger (2005). Ich
glaube, da sind uns neue Formen des Musiktheaters gelungen. Das Zweite, das
mich freut: Es gelang, die Inhalte auch einem
breiten Publikum zu kommunizieren. Beat Furrers "Begehren" oder Olga
Neuwirths "Lost Highway" oder Mitterers "White foam" waren zu hundert
Prozent ausverkauft . Was ist noch gelungen? Der Schauspielbereich. Für
Händl Klaus 2003, mit der Produktion
"wilde - der mann mit den traurigen augen", haben wir alle
Einladungen bekommen, die man sich wünschen kann. Dass wir mit
Kathrin Röggla "Fake Reports" und "junk space" realisieren konnten,
das war für mich wunderbar. 2004 war für mich das Jahr, mit dem ich
am wenigsten zufrieden bin. Aber Kathrin Röggla und Gerhild Steinbuch
nenne ich trotzdem, die haben mich glücklich gemacht. Das Dritte, von dem
ich denke, das es bleibt, ist die Wahrnehmung,
dass, wenn du entsprechende energetische Mobilisierung zustande
bringst, es gelingt, die breiteren gesellschaftlichen Schichten als
nur die Kerngruppe zu interessieren. Viele unterschätzen dabei auch
immer einen anderen Aspekt: Der steirische herbst hat in den
Siebzigerjahren nur so machen müssen und da ist der Skandal schon in
die Höhe gegangen. Wien ist damals eine muffige, langweilige Stadt
gewesen, der Osten war zu und von Graz hast du sehr weit fahren
müssen, dass du bestimmte Inhalte erfahren konntest. Den letzten
Skandal gab es mit Schlingensief unter Christine Frisignhelli, nur
der inszeniert mittlerweile in Bayreuth den "Parsifal", das
Bühnenweihfestspiel. Darum habe ich allen, die nach dem Skandal
gefragt haben, geantwortet, dafür braucht es eine Marketingagentur,
das ist der herbst aber nicht. Auf die internationale Resonanz können wir
sehr stolz sein. Das
reicht bis zur Los Angeles Times.
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