herbst 05
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Wie kommt es, dass das Aufstellen fremdländischer Bautafeln Belustigung und Irritation hervorruft? Muss man erst Aufschriften in chinesischen Zeichen anbringen, damit offensichtlich wird, mit welcher Intensität und Geschwindigkeit die Konvergenz der Gesellschaften vor sich geht? Muss man die Dimension der Bauten um einige Faktoren vergrößern, damit die Menschen merken, was das kommerzielle – von öffentlichen Bindungen befreite - Bauwesen hervorbringt? Oder kommt die Irritation von der verloren gegangenen Kongruenz öffentlicher und kommerzieller Interessen? Und man denkt weiter: Warum baut man nicht auch bei uns so schöne, aus jeglichem Kontext heraus gelöste, in sich ruhende Immobilien, warum fährt man nicht auch bei uns mit der Planierraupe durch die obsoleten Quartiere?
Man könnte es auch so sagen: Chinesen (Inder, Koreaner) bauen schon längst in Graz mit, beeinflussen nicht nur unsere Stahlpreise, unsere Energiekosten, sondern auch die Verfügbarkeit von Kapital und die Situation am Arbeitsmarkt. Die gängige und mehrheitstaugliche Reaktion auf solche Globalisierungseffekte besteht immer noch im „Wir wollen das nicht…“ und geht davon aus, dass man mit den entsprechenden Verordnungen bewirken kann, dass die Kirche im Dorf bleibt - was im strengen Sinn auch funktioniert, denn in vielen Orten ist die Kirche nämlich das einzige, was noch im Dorf ist...

“enable working to be an enjoyable experience”
Chao Wai Dajie, Beijing / Kaiser-Franz-Josef-Kai 24, Graz, 28. 10. 2005 bis 8. 12. 2005

Die krause Wortkonstruktion ruft im kollektiven Gefühlsleben einer stagnierenden europäischen Gesellschaft berührende Assoziationen hervor: Zuversicht, Machbarkeit, Zukunftsglaube - allesamt prekäre Begriffe, die im urbanen Diskurs unserer Längen praktisch nur mehr unter geistigen Anführungszeichen genannt werden können.
Gerade die Verbindung zum Thema „Arbeit“ ist besonders schmerzlich, hat man doch erkannt, dass Wachstum längst nicht mehr Arbeit schafft. Und was ist Zukunftsglaube - der ja viele Menschen in ihrer individuellen Perspektive nach wie vor antreibt - ohne „Fortschrittsglaube“, der ja nur als kollektives Bild denkbar ist? Ist Zukunft ohne Fortschritt möglich? Es scheint so, aber es ist unserer, an der Moderne geschulten Ideenwelt fremd.
Natürlich geht es bei “enable working to be an enjoyable experience” längst nicht mehr um eine kollektive sozialistische Losung, sondern um die Vermarktung einer Immobilie im Zentrum von Beijing, doch lässt die Diktion vermuten, dass auch noch im kommerziellen Kontext das Prinzip „Fortschritt durch Arbeit“ zum kollektiven Konsens gehört, und daher werbewirksam ist. Bei der zweiten Lesung, oder wenn man die chinesischen Schriftzeichen versteht, wird deutlich, dass hier eigentlich nur eine angenehme Arbeitsatmosphäre versprochen wird, ergänzt durch die Aussagen „geringe Raumtiefe, dreiseitige Belichtung, vollständige Sonnigkeit“. Unsere spontane Lesart des Projektes ist also zugleich auch ein Aufdecken unserer eigenen Projektionen, eine Tatsache, die allerdings die Relevanz der angesprochenen Themen nicht mindert.

Idee und Realisierung
fiedler.tornquist, Graz

für Ihre Unterstützung danken wir
Feng Bo, Beijing (Foto)
Linxi Dong, Beijing
Martin Krammer, Graz
Baumeister Leitner, Graz
Lieb Bau, Weiz
Beijing Vantone Real Estate Co. Ltd.
Fen Xiao, Graz

Sponsoren
Land Steiermark, Kultur
Leder & Schuh, Graz